Meinem lieben Heinz Weihnachten 1919!
Ich soll, Dir, mein Heinz, von Deinen Vorfahren erzählen, und beginne mit Deinem Urgroßvater Christian Bammel (Nr.12), geb. 1785 in Braunschweig. Er hatte dort, Lange Dammstraße 1, ein eigenes Haus, innen war ein Laden; er war künstlerisch veranlagt, zeichnete und malte bis in sein hohes Alter, zuletzt mit zwei Brillen, in der Hauptsache feine Blumenstücke. (Eins hiervon ist in meinem Besitz H.H.)
Dieses Talent hat sein Sohn geerbt; mein Vater Anton Adolf Bammel (Nr. 6), geb. 1806, wollte zuerst Kunstmaler werden; er malte sehr hübsch, auch figürliche Miniaturen, die dann von ihm auf Stein gezeichnet wurden; als er aber merkte, dass sein Talent nicht ausreichte, trat er in das Geschäft seines Vaters ein und vergrößerte dieses bedeutend. Die Kunst konnte damals sehr wohl im Handwerk verwertet werden; es war die Zeit - die zwanziger und dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts - in der die unter dem Namen " Stobwasser'sche Teller bekannten Gegenstände für Haushaltungszwecke und zu Geschenken sehr beliebt waren. Lampen, Teebretter, (Präsentierteller genannt), Küchenkörbe, Blumenkörbe, Schnupftabakdosen wurden hergestellt; die rohen Blecharbeiten, dann wieder bei Lampen die plattierten Teile wurden bei verschiedenen Handwerksmeister in Arbeit gegeben, dann im eigenen Betriebe zusammengesetzt, nach eigenen Modellen bemalt, lackiert und vergoldet. Die echte Vergoldung war Geschäftsgeheimnis, und die feine Lackierarbeit war unübertroffen. So wurden z.B. auch die vergoldeten Kandelaber im herzoglichen Schlosse bei uns in Arbeit gegeben. Die Erzeugnisse wurden dann auf der Braunschweiger Messe ausgestellt; diese hatte damals eine große Bedeutung. Aussteller kamen nicht allein aus Deutschland, sondern aus ganz Europa; ich wurde, als ich längst verheiratet war, mal von einer Dame gefragt, ob eine Mathilde Bammel mit mir verwandt sei; sie hatte unter den Stammbuchblättern ihrer Mutter diesen Namen gefunden; das war nun meine liebe Tante, die einzige Schwester meines Vaters, die damals, achtzigjährig, bei uns in Kiel wohnte; sie war geistig sehr frisch, hatte ein sehr gutes Gedächtnis und erzählte nun der Dame alles Mögliche, Liebe und Gute von deren früh verstorbener Mutter, die vor sechzig Jahren, als siebzehnjähriges Mädchen von ihrem Vater, der in Petersburg lebte, aber immer die Braunschweiger Messe besuchte, mitgebracht sei und damals bei uns gewohnt habe.
Die besseren Bürger, so auch mein Vater, hatten ihren Stand in den Lauben des Altstadtrathauses. Dort lernte mein Vater auch seinen späteren Schwiegervater kennen und trat mit ihm in Geschäftsverbindung. Konrad David Gerhard Beckmann (Nr. 14), geb. den 1.12.1780 in Hannover, hatte dort in der Cramerstraße gegenüber dem alten Leineschloss ein eigenes großes Haus, in dem eine Klempnerei betrieben wurde; er hatte viel Aufträge für das Schloss; wie leistungsfähig damals das Handwerk und besonders mein Großvater war, geht daraus hervor, dass ihm die Herstellung der Viktoria auf dem Waterloodenkmal übertragen wurde, welche Arbeit er zusammen mit seinem sehr begabten Sohn Franz, Friedrich, Georg Beckmann, geb. 19.7.1811, ausführte. Der Großvater hat darüber eine Urkunde aufgesetzt, die im Inneren der Viktoria niedergelegt ist und deren Kopie in unserem Besitz ist. (Der Wortlaut der Urkunde wird später mitgeteilt werden. Das alte Beckmann'sche Geschäft ist noch heute im Familienbesitz und wird von den Urenkeln als Installationsgeschäft für Gas, Wasser und elektrische Anlagen usw. in Hannover, Georgstraße 29 betrieben. Im Mai 1932 fand in Hannover eine Feier zur Erinnerung an die vor 100 Jahren erfolgte Errichtung der Waterloosäule statt. Leider erfuhr ich hiervon zu spät, sodass ich die Familie Beckmann nicht mehr veranlassen konnte, dafür zu sorgen, dass hierbei unseres gemeinsamen Ahnherrn gedacht wurde. H.H.) Die Viktoria wurde Anfang Mai 1832 im Hofe des eigenen Hauses in der Cramerstraße aufgestellt, von Ihrer Königlichen Hoheit, der Vicekönigin und vielen Standespersonen besichtigt; es wurde ungeteilt der Beifall gezollt, auch von den Mitbürgern; die Viktoria hatte 10 Zentner Kupfer im Gewicht, der Preis für die Verfertigung betrug 200 Louisdor, "wobei mir wohl kein großer Nutzen bleiben wird; wohl könnte es aber für mich, meinen Sohn und meine Nachkommen ein bleibendes Denkmal sein." schreibt der Großvater.
Neben seiner Klempnerei hatte mein Großvater noch einen Laden, in dem feine Porzellane und Kristalle verkauft wurden; er hatte einen großen Absatz, namentlich beim damals englischen Hofe des Herzogs von Cambridge, Vizekönig von Hannover.
Das Lackieren konnte in Hannover nicht so gut hergestellt werden wie in Braunschweig, weshalb die fertigen Erzeugnisse zum Lackieren nach Braunschweig geschickt wurden; es bestand also eine rege Geschäftsverbindung zwischen den beiden Häusern. Mein Vater heiratete dann erst die älteste Tochter Sophie (Stammmutter von Adolph, Konrad Helene, Martha, Gerhard und Hans Howaldt, sowie deren Kinder und Großkinder. H.H.), und nach deren Tode die zweite und jüngste Tochter Elise Beckmann (Nr. 7), geb. den 1.1.1820, meine Mutter.
Meine Großmutter Johanne Beckmann geb. Krüger (Nr.15) zog nach dem Tode des Großvaters nach Braunschweig, wohnte auch auf der Lange Dammstraße, uns gegenüber; sie war eine stattliche, gut aussehende Matrone, die ich allerdings nur dunkel erinnere, da ich erst 5 Jahre alt war, als sie starb (26.8.1861).
Mein Elternhaus in der Lange Dammstraße war sehr unbequem eingerichtet.; Schornsteine waren nur in der einen Hälfte des Hauses, die Küche war ganz dunkel; es wurde also stets Licht, eine Öllampe, gebrannt; der Abort war über den Hof im Hinterhaus, man ging dahin mit einem Stocke, um durch Klopfen erst die Ratten zu vertreiben, abends musste man auch noch eine Laterne mitnehmen; die Ratten waren wegen der Nähe der Oker nicht auszurotten; ich erinnere mich, dass mal eine, die gejagt wurde, meiner kleinen Schwester Agnes unter das Kleidchen sprang; das Kind konnte sich von dem Schrecken gar nicht wieder erholen und behielt eine unüberwindliche Abneigung gegen Ratten, Mäuse, Schlangen, Frösche, Spinnen.
Eine kleine Bekannte von mir wohnte an der anderen Seite des Platzes, an dem unser Haus an dem Bohlweg zu lag; wie üblich, war auch hier das kleine Häuschen an der Oker; eine Treppe führte hinunter. Eines Tages, als Hochwasser war, übrigens ein höchst seltenes Vorkommnis, war die Treppe nicht zu benutzen, wir wussten uns aber zu helfen, drehten uns einfach um und benutzten die Oker direkt. Ich war damals 5 Jahre alt und meine Mutter war entsetzt, als ich ihr von diesem Kunststück erzählte, war doch gerade kurz vorher ein Mädchen aus diesem Hause, ob bei gleicher Beschäftigung, weiß ich nicht, ins Wasser gefallen, unter dem Platze durchgetrieben und Gott lob noch lebens an unserer Okerseite wieder herausgeholt.
Unser Hinterhaus lag an der Oker, verschiedene Okerarme durchzogen damals noch Braunschweig, von der Straße aber meist nicht sichtbar.
Die Oker, wie sie in Braunschweig war, war aber nichts weniger als ein klarer Gebirgsfluss; den größten Teil des Jahres war in der Mitte des ziemlich breiten Okerbettes ein träge schleichender Bach, an beiden Seiten schlammiger Morast; von den einzelnen Hinterhäusern führten dann so genannte Füllen zum eigentlichen Wasser und dort wurde die Wäsche gespült. Ich hatte einmal die Waschfrauen begleitet, fiel von der Fülle in den tiefen Schlamm und weiß noch wie furchtbar ich aussah, als ich wieder herausgezogen war. Gerade unserm Hause gegenüber an der anderen Seite der Oker erstreckte sich vor dem großen Brande 1830 ein Flügel des Schlosses bis zur Oker hin; meine Tante hat dort dem Laquaien das Serviettenlegen abgesehen und nachgemacht.
Nach dem Bohlweg hin - jetzt steht eine Häuserreihe dort - hatten wir einen hübschen Garten, der sich bis zum Schlossgarten erstreckte. Das Geschäftliche hatte sich im Laufe der Zeit verändert, die hübsch bemalten Blechwaren hatten dem Britanniametall (Legierungen aus Zinn, Antimon und Kupfer P.J.) Platz machen müssen, die Oellampen wurden verdrängt von den Moderateurlampen, die aus Paris fertig bezogen wurden; aus der eigenen Herstellung wurde mehr ein Handel, der meinem Vater nicht so lag, weshalb er 1863 sein Geschäft und Haus verkaufte und sich ganz den städtischen Angelegenheiten widmete, in denen er schon längere Jahre tätig war.
Erwähnen will ich hier noch eine kleine Erfindung meines Vaters; er ließ die früher röhrenförmigen Zylinder über dem Docht mit einem Knick versehen und nahm auf seine Erfindung ein Patent; er hatte Freude daran, dass seine Zylinder bis nach Tromsö (Norwegen) verschickt wurden.
Eine kleine Geschichte, die die damaligen engherzigen Ansichten kennzeichnen, möge auch hier noch Platz finden.-- Wer mehrere uneheliche Kinder hatte, durfte nicht heiraten; ob sich das nur auf die Frauen bezog, kann ich nicht sagen; wir hatten einen Arbeiter, der in wilder Ehe lebte; das Heiraten war also untersagt, aber Kinder kamen immer mehr. Bartels war sonst ein sehr tüchtiger Mann, so setzte es mein Vater nach vieler Mühe durch, dass er die Erlaubnis zum Heiraten bekam. Nach der Trauung kam er mit Frau und Kindern zu meinem Vater; die Kinder mussten sich aufstellen und dann sagte er: "So Kinder, nun bedankt euch beim Herrn Stadtrat, dass er mich zu eurem Vater gemacht hat!"
1863, ich war damals 7 Jahre alt, bezogen wir eine sehr geräumige, hübsche Wohnung, Kattrepeln 13. Auch hier wohnten wir wieder an einem Okerarm. Uns gegenüber Parterre wohnten die Geschwister Goldschmidt, 2 ältere Brüder und 2 ältere Schwestern. Das Reinigen der Schlafzimmer besorgte Fräulein Goldschmidt selbst, sie machte es sich dabei bequem, indem sie die verschiedenen Gefäße einfach aus dem Fenster auf den Okerschlamm entleerte. Dabei hatte sie wohl das unbestimmte Empfinden, dass dieses Tun nicht gerade sehr schön war, auch war sie sich wohl ihrer mangelhaften Bekleidung bewusst. Jedenfalls schielte sie immer nach unserem Fenster herauf; nun waren ihre Fenster sehr niedrig, nur Kniehöhe, eines Tages verlor sie das Gleichgewicht und stürzte kopfüber in den Okerschlamm; der Anblick, als sie sich wieder herausrappelte, in kurzem Röckchen in zweifelhafter Farbe, mit Nachtjacke und Nachtmütze, aus der eine dünne Strähne grauen Haares heraussah, dastand, über und über mit Schlamm bedeckt, mit dem entleerten Gefäß noch in der Hand, war jedenfalls überwältigend komisch. Einen scheuen hilfeflehenden Blick warf sie zu unserem Fenster hinauf, wo sie meinen Vater wusste, dessen Anwesenheit vielleicht das ganze Unglück verschuldet hatte. Er rief ihr dann auch gleich mit seinen lauten Stimme zu: "Fräulein Goldschmidt, ich schicke gleich herum und lasse die Tür öffnen." Das hinderte aber nicht, dass er uns alle herbeirief, uns diesen unvergesslichen Anblicks zu erfreuen.
Das Familienleben in meinem Elternhaus war sehr harmonisch. Es so zu gestalten, ist bei den verschiedenen Charakteren und den so sehr großen Altersunterschieden zwischen den Geschwistern gewiss oft nicht leicht gewesen und unstreitig in der Hauptsache das Verdienst meiner klugen, lieben, leider so früh verstorbenen Mutter. Wir waren 7 Geschwister und meine älteste Schwester war 22 Jahre älter als meine jüngste Schwester. Meine Mutter verstand es reizend, mit den älteren erwachsenen Töchtern ihrer Schwester umzugehen und deren kleine Wünsche bei meinem sehr eigenen Vater zu befürworten und durchzudrücken. Meine Schwester Helene hat bitterlich geweint, als man sie in der Schule auf ihre "Stiefmutter" anredete. Sie hatte sich das bis dahin gar nicht klar gemacht. Bei uns hieß es eben "Mama Sophie" und "Mama Elise". Mama Sophie war im Himmel oder auf dem Friedhofe, auch wir jüngeren Geschwister gingen oft zu ihrem Grabe, gar nicht darüber nachdenkend, dass sie ja mit uns eigentlich gar nichts zu tun hatte. Außerdem lebte die einzige Schwester meines Vaters bei uns. Meine Tante war nach kurzer kinderloser Ehe wieder zu ihren Eltern gezogen und nach dem Tode der Großeltern ganz selbstverständlich im Hause des Bruders geblieben.
Während der Witwerschaft meines Vaters hatte sie den Haushalt geführt, war aber bei der Verheiratung meiner Mutter ganz stillschweigend wieder zurückgetreten und hat der soviel jüngeren Schwägerin nie etwas in den Weg gelegt. Keiner von uns Kindern erinnert ein unfreundliches Wort zwischen den Schwägerinnen. Wir Kinder natürlich bekamen oft unser Teil, denn das gehörte mit zur Erziehung. Ich sehe meine Tante noch, wie sie durchs Zimmer ging, erst über die Brille weg sich vergewisserte, ob niemand von uns 6 Mädchen da war, dann mit dem kleinen Finger die entlegendsten Stellen der Leisten der Möbel scharf wischte und dann den Finger durch die Brille besah. Hatte sie das einigemale exerziert, so erscholl dann aus irgend einer Ecke oder dem Nebenzimmer Gelächter und wir riefen: "Ja, es ist alles gewischt!" Meine Tante hatte einige häusliche Arbeiten übernommen, an die sie dann auch keinen heranließ. Es waren nicht gerade die angenehmsten, deshalb drängte sich auch niemand dazu; sie machte alle die vielen Lampen, die dann auch immer vorzüglich brannten, und legte die Betten wieder ein. Das Bettenmachen war ein kleines Kunststück. Meine Eltern und wir jüngere Generation schliefen schon auf Matratzen und bekamen höchstens im Winter ein Unterbett, denn geheizt wurde in den Schlafzimmern niemals, sie hatten gar keine Öfen. Tante schlief noch nach der alten Weise. Da kamen also zuerst auf die Matratze ein Unterbett, dann 3 Pfühle, die vorschriftsmäßig über das Bett verteilt wurden, darauf wieder ein Unterbett und dann die beiden Kopfkissen und das Deckbett. Jedes Bettstück wurde erst von allen Seiten geklopft und geschüttelt und musste dann so liegen, dass es in der Mitte wieder einen Berg bildete. Um abends in die Mitte dieses Federberges zu gelangen, wurde dann ein breiter Tritt mit zwei Stufen und fein gepolstert benutzt, ein sogenannter Betttritt.
Die übrige häusliche Arbeit war gut eingeteilt. Einer von den "Großen" hatte Küchenwoche, einer die Kinderwoche und einer war frei. Als wir "Kleinen", wir vier jüngeren Geschwister alle zur Schule gingen, wurde nur noch ein Mädchen gehalten, da gab es also Arbeit genug. Dabei denke ich an die "große Wäsche". Gewaschen wurde nur alle 6 bis 8 Wochen. Im Winter Bettzeug und Tischzeug gar nicht. Diese Wäsche wurde für das ganze Jahr im Voraus festgesetzt, welche Arbeit auch meine Tante übernahm. Sowie anfangs des Winters der neue Kalender erschien, wurde ein solcher besorgt, dann wurden die Kalender der beiden Waschfrauen und der beiden Plätterinnen sowie der der Hauswirtin eingefordert. Da wir in der ersten Etage wohnten, brauchten wir uns nach niemand zu richten. Nun wurden alle Geburtstage eingezeichnet, um diese möglichst frei zu haben und dann wurden alle 6 Kalender in Einklang gebracht. War dann Wäsche, so hatten wir aber auch alle Räumlichkeiten und Einrichtungen zur Verfügung, vor allem die sehr großen Böden, in den alten Braunschweiger Giebelhäusern oft zwei übereinander. Im Sommer wurde dann die Wäsche bei günstigem Wetter gebleicht, dazu wurde in einem Reginen-Kloster, deren es in Braunschweig eine Menge gab, die große Bleiche gemietet. Die ganze nasse Wäsche wurde in Kiepen dahingetragen.
In meinem Elternhause war mein Vater durchaus maßgebend, alles drehte sich um ihn und seine Wünsche. Er war ein sehr akkurater Mann, von peinlicher Ordnungsliebe in allen Dingen, seine Einnahmen und Ausgaben waren genau eingeteilt. Wir Mädchen bekamen unser bestimmtes Monatsgeld, von dem wir unsere Garderobe und kleine Geschenke zu bestreiten hatten. Extrazuwendungen bekamen wir nicht und darnach richteten wir uns. Wir lebten in bescheidenem Wohlstand. Mein Vater hatte ja aber, nachdem er sein Geschäft aufgegeben, außer seinen Zinsen keinerlei Nebeneinnahmen, denn seine große Tätigkeit in Amtsgeschäften für die Stadt brachte ihm nichts ein. Er bemühte sich auch immer, von seinen Zinsen noch Rücklagen zu machen, wenn auch diese Erziehung zum Rechnen und zu großer Sparsamkeit nicht immer angenehm war, so hat sie uns allen im Leben sehr geholfen. Ich habe dabei meines Vaters sehr oft dankbar gedacht. Als Eigentümlichkeit will ich hier noch erwähnen, dass neue oder neu besohlte Stiefel mit warmem Leinöl bestrichen wurden, und an der Luft trocknen mussten, das tat mein Vater selbst, es stank scheußlich - unter der Pedanterie und Eigenart meines Vaters gelitten hat vielleicht mein einziger Bruder, der erst nach 22 jähriger Ehe geboren wurde. Er sollte nun aber auch etwas ganz besonderes sein und mein Vater kümmerte sich um jede Kleinigkeit persönlich, während er uns Mädchen gewähren ließ. Es fehlte dann auch der mildernde Einfluss meiner Mutter, die starb, als mein Bruder 10 Jahre alt war.
Nach ihrem Tode ging der tadellos aufgezogene Haushalt in den gleichen Bahnen weiter. Meine ältere Schwester bemühte sich in rührender Weise um uns und unsere Erziehung, und ich glaube, wir sind auch sehr gehorsame Kinder gewesen. Der Zusammenhang zwischen uns Geschwistern ist bis zu unserm Alter ein sehr inniger und ungetrübter geblieben.
Hübsch waren die langen Winterabende, wir versammelten uns dann meist in Tantes Zimmer, saßen um einen großen runden Tisch, in der Mitte stand die Lampe, dann baute man sich von steifen Notenheften ein Dreieck, hinter dem man für die Gegenübersitzenden Weihnachtsarbeiten machte. Dazu las mein Bruder aus "Freytags Ahnen" vor. Mein Vater ging jeden Abend ein Stündchen in den "Großen Klub", kam gegen 9 Uhr zu Hause und saß dann bei uns. Wir waren inzwischen nach der Fallerslebener Straße, unserer letzten Wohnung in Braunschweig gezogen. Als meine Schwester Agnes Hochzeit hatte, entschloss sich mein Vater, der schon recht kümmerlich war, zu uns Schwestern nach Kiel zu ziehen. Er war aber erst 8 Tage in Kiel, der Umzug noch nicht bewerkstelligt, als er starb. Er ist in Braunschweig, Magni-Kirchhof beerdigt. Unser altes Tantchen lebte dann mit meiner jüngsten Schwester Else zusammen im Schweizer Hause, auf dem Villa-Grundstück meines Schwagers Georg in Kiel und nach meiner Schwester Verheiratung im Hause meines Schwagers, geliebt und verehrt von allen, die ihr nah standen.
Mit der Familie Howaldt in Kiel waren wir befreundet, solange ich denken kann. Die älteste Tochter Emma war als 18jähriges junges Mädchen ein Jahr bei ihrem Onkel, dem Professor Howaldt in Braunschweig und hatte mit meiner ältesten Schwester Mathilde zusammen Malstunde. Sie war damals ein fast täglicher Gast in unserem Hause. Zu ihrer Hochzeit, die bald darauf stattfand, reiste meine Schwester zum ersten Male nach Kiel, war dort sehr gern gesehen und bald wie ein Kind im Hause. Sie reiste dann sehr häufig nach Kiel und auch nach Hamburg zu Diederichsen. Die alten Howaldts (Nr. 4 u. 5) besuchten dann auf ihren jährlichen Reisen in den Harz oder später nach Ems immer Braunschweig und uns, und auch andere Familienmitglieder erhielten den Verkehr aufrecht. So war meine früh verstorbene Schwägerin Anna (später verheiratete Semper) längere Zeit bei uns.
Bernhard Howaldt (Nr. 2) kam zuerst 1870/71 nach Braunschweig. Er war als 19jähriger Einjähriger bei der Marine eingetreten, er trug damals einen großen Wachshut mit rundem Kopf und langen Bändern. Bei militärischem Grüßen wurde der Hut jedes Mal vom Kopf gerissen. In Braunschweig wurde er sehr bewundert, da unsere Marine damals noch sehr klein war und man Matrosen kaum gesehen hatte. Ich reiste zuerst im Jahre 1873 nach Hamburg und Kiel zusammen mit meiner Schwester Mathilde. Es war meine erste größere Reise, die auch noch dadurch zu einem Ereignis für mich wurde, dass ich ein großes Schiff taufen sollte, "Die Lothringen", das war natürlich etwas ganz besonderes für mich, die ich noch bis vor kurzem überhaupt noch kein Schiff gesehen hatte. Das Werfen der Champagnerflasche wurde damals auch noch nicht so bequem gemacht wie später. Bernhard Howaldt stand neben mir und sagte mir über alles Bescheid und die Flasche zerschellte tadellos. Ein Bild von mir machte alle Reisen dieses Schiffes mit, kam später nach dem Verkauf auf das Ersatzschiff "Alwine", welches ich viele Jahre später auch taufte. Ich erhielt es zurück, als auch dieses Schiff untauglich geworden und verkauft wurde. (Dieses Bild ist heute in meinem Besitz, mit 2 Nagelhaltern oben und unten versehen, die auf hoher See das Bild festhielten. H.H.)
Bernhard Howaldt studierte damals und auch später in Karlsruhe, machte auch auf seinen Reisen dorthin einmal einen Abstecher nach Braunschweig. Im Jahre 1876 heiratete meine Schwester Mathilde Georg Howaldt und im Februar verlobte ich mich mit Bernhard Howaldt, am 23. September desselben Jahres heirateten wir. Mein Mann war damals Ingenieur in der Maschinenfabrik und Eisengießerei von Schweffel und Howaldt.
Mein Schwiegervater August Ferdinand Howaldt (Nr.4), geboren 1809 in Braunschweig, hatte als Mechaniker gelernt, hatte dann seine Kenntnisse in Hamburg erweitert, er war dort in einem Geschäft von einem alten Onkel der Tante Libbertz, mit dieser, die damals noch unverheiratet, verband ihn eine aufrichtige Freundschaft, die bis zum Tode bestand und sich auch bei den Kindern in den folgenden Generationen fortsetzte.
Er ging dann nach Kiel und heiratete hier 1837 Emma Diederichsen (Nr.5), geb. 1814. Deren Vater, Andreas Ludewig Diederichsen (Nr.10), geb. 1779, hatte einen großen Teil seines Vermögens durch den dänischen Staatsbankerott verloren, so konnte mein Schwiegervater nur aus eigenen bescheidenen Mitteln eine kleine Maschinenfabrik gründen. Er war aber rüstig und strebsam, kam rasch vorwärts, sodass der Großkaufmann Johann Schweffel in Kiel, mit dem mein Schwiegervater geschäftlich viel zu tun hatte, ihm eine Teilhaberschaft anbot. Darauf wurde im Jahre 1838 unter dem Namen Schweffel und Howaldt eine Maschinenfabrik in größerem Maßstabe gegründet. Johann Schweffel jun. kam dann bei meinem Schwiegervater in die Lehre und trat 1848 an stelle seines Vaters als Teilhaber in die Firma. In den ersten Jahren wurden nur landwirtschaftliche Maschinen hergestellt. Die Firma hatte ein großes Absatzgebiet über ganz Schleswig-Holstein. Bezahlt wurde nur einmal im Jahre zur Zeit des Umschlags und zwar nur in barem Silbergelde, Spezies-Thalern.
Die Gutsbesitzer kamen dann "Vierelang" nach Kiel und führten das Geld in Beuteln verpackt mit sich. Wir besitzen in der Familie (jetzt in Besitz von Bernhard Howaldt, Flensburg. H.H.) noch eine große eiserne Geldkiste mit kunstvollen Schlössern. Sie soll an Umschlagtagen oft bis oben hin voller Spezies-Thalern gewesen sein. Für das Wechselgeld wurde ein emaillierter Spuknapf benutzt, wie sie in der Fabrik hergestellt wurden. Die Fabrik befand sich zuerst an der Klinke, gegenüber Hotel Germania, dann wurde am Kleinen Kiel eine Eisengießerei gebaut (jetziges Oberlandesgerichtsgebäude H.H.) und an der Fabrikstraße durchgehend zum Eisenbahndamm eine Maschinenfabrik. Außer landwirtschaftlichen Maschinen wurden auch gusseiserne emaillierte Töpfe, auch Öfen hergestellt, welche Fabrikation als nicht lohnend aber später wieder aufgegeben wurde.
1849 wurde die erste Schraubenschiffsmaschine für das der schleswig-holsteinischen Regierung gehörige erste Schrauben-Kanonenboot der Welt "Von der Tann" gebaut. Gleichzeitig das erste eiserne Taucherschraubenschiff, ausgeführt nach Angaben des Erfinders Wilhelm Bauer. (Über den Bau und Untergang dieses Tauchbootes sind in den letzten Jahren wiederholt, zuletzt im November 1932 in den Berliner Illustrierten Zeitung Artikel mit Abbildungen erschienen. Dieser Artikel schien im ersten Augenblick die Schuld an dem Untergang des Bootes auf die Werft und damit auf Großvater Howaldt zu schieben, bei näherer Durchsicht war der Satz aber so geschickt gefasst, dass die Frage offen blieb, jedenfalls ein direkter Vorwurf nicht erhoben wurde. Das später gehobene Tauchboot ist jetzt in dem Museum für Meereskunde, Berlin, Georgenstr., in der Nähe des Bahnhofs Friedrichstraße, im Hof aufgestellt. In diesem Museum, das auch sonst sehr sehenswert ist, befindet sich auch ein Modell des Linienschiffes Bayern, das als letztes im Jahre 1915/16 auf den Howaldts Werften gebaut ist. Im September 1932 hat die Nerag-Hamburg unter dem Titel: Die U-Boot-Messe, Erinnerungen aus der U-Boot-Kameradschaft im ersten Teil eine dramatische Scene im Kieler Hafen 1849 in dem Hörspiel zur Aufführung gebracht, in dem auch Großvater Howaldt zu Worte gekommen ist. H.H.) Schiffsmaschinen wurden dann später hauptsächlich für die "Norddeutsche Werft" (jetzt Germania-Werft) geliefert, die keine eigene Maschinenfabrik besaß. Mein Schwiegervater war energisch, klar blickend und rasch von Entschluss, während Johann Schweffel erst länger überlegte. Er sagte mindestens in jedem Satz einmal; "Ich meine", war deshalb auch unter dem Namen "Ich meine" stadtbekannt.
Neben der Gießerei am Kleinen Kiel hatten meine Schwiegereltern eine große Villa, deren Garten durchging vom Lorenzen-Damm zur Mulius-Straße. Hier führte meine Schwiegermutter das Regiment und der Alte ließ sich von ihr auch alles gefallen, wenn sie ihn schön machte, ihm den Schlips band oder sonst für ihn sorgte. Er war zu Hause immer ganz reizend behaglich.
Meine Schwiegermutter bekam festes Haushaltsgeld, es war wohl sehr reichlich bemessen, denn sie machte immer Ersparnisse davon, sie war eine tüchtige Hausfrau, griff auch gern selbst zu, hatte sie aber mit geplättet, so rechnete sie: "Das hätte ich nicht nötig gehabt, die Plätterin hätte dafür soundsoviel bekommen, folglich ist das Geld verdient." Dieses Geld wanderte in eine besondere Kasse. Sie kleidete sich sehr elegant und hatte immer alles vom Besten. Ihr echter Samtmantel, der in "Teepapier" verpackt war, machte schon auf mich als Kind Eindruck. Auch hierfür bekam sie bestimmtes Garderobegeld. Im übrigen rechnete sie die Extra-Aufgaben am 1. ab, wobei es ihr gar nicht darauf ankam, auch mal zu mogeln, wenn in ihrer Extrakasse gerade Ebbe war. Ich erinnere mich noch, als ich jung verheiratet war, dass ich mal ganz erstaunt aufsah, als sie meinem Schwiegervater einen viel höheren Mädchenlohn angab, als diese bekam. Da ich gar nicht darauf kam, dass das absichtlich geschah, fing ich an: "Bekommen denn", aber da schnitt sie mir das Wort ab und gab mir dann später erst die Erklärung, das müsse man nicht so genau nehmen. Ich glaube, mein Schwiegervater wusste das aber ganz gut, er wollte nur für ihre Ausgaben einen Damm setzen, sie schenkte sehr gern und reichlich, war auch sehr wohltätig und ging dabei praktisch zu Wege. So unterstützte sie eine Frau in Ellerbek, deren Kinder nicht allein für die Mutter nichts taten, sondern ihr auch das letzte Geld abholten, sodass die Frau ins Armenhaus musste. Da sorgte sie nun erst für ein gutes Bett, schenkte es aber nicht etwa, denn fiel es nach dem Tode ans Armenhaus, dann ließ sie ihr jeden Morgen Semmeln und Milch bringen, ging zum Bezahlen stets selbst hin, um sich zu überzeugen, ob auch alles seine Richtigkeit hatte, besonders liebte sie auch die Ausverkäufe, allerdings nur in den Geschäften, in denen sie sonst immer kaufte. Sie war eigentlich nicht zufrieden, wenn sie von dem ihr genannten Preise nichts abhandeln konnte. So gern sie also schenkte und im Großen fortgab, dabei nicht rechnete, denn das tat ja Vater, so genau und sparsam war sie im Kleinen; namentlich konnte sie nichts umkommen sehen. Hatte sie alte Sachen, die sie nicht mehr verschenken mochte, alte Handschuhe, Strümpfe, Portemonnaie, so machte sie ein kleines Paket davon und ließ es auf der Straße fallen; sie kehrte dann aber wieder um und beobachtete, wer es aufnahm und als noch brauchbar mitnahm, ärgerte sich aber sehr, wenn es in den Rinnstein wanderte.
Otto Heesch, der nach dem Scharlach sehr zart geblieben war, aß eine Zeitlang bei den Großeltern zu Mittag, um ihm den weiten doppelten Schulweg zu ersparen. Eines Tages, ich war zufällig auch da, gab es Klippfisch, da sagte Otto auf einmal: "Großmutter, in meinem Fisch sind Würmer." Großvater hatte die Eigentümlichkeit, dass er sich sofort übergeben musste, wenn er etwas Ekliges sah, also sprang er mit vorgehaltener Serviette sofort auf und lief hinaus. Ganz unwillkürlich wollte ich nach dem Mädchen klingeln, aber Mutter verhinderte das mit die Worten: Lass nur, das mache ich schon allein wieder in Ordnung; denn die Mädchen sind ja komisch und essen dann nichts von dem Fisch."
Es war Mutter immer gut gegangen im Leben, besser als ihren Schwestern und den meisten ihrer Verwandten. Das rechnete sie sich als tüchtige Hausfrau als ihr besonderes Verdienst an. Sie hatte dadurch etwas sehr Selbstsicheres bekommen und fühlte sich berufen, allen, die von ihr abhängig waren, oder ihr eine gewisse Rücksicht schuldeten, ihre Meinung zu sagen, wenn in deren Haushaltungen etwas anders gemacht wurde als sie es mochte. Darin war sie ziemlich rücksichtslos. Die Eltern verlebten einmal mehrere Monate bei ihrer Tochter Emma Heesch, da Mutter keine Hausstandssorgen haben sollte. Wir zogen solange in die Wohnung der Eltern, was mir deshalb sehr angenehm war, weil wir damals in der engen Fleethörn eine Etagenwohnung ohne Garten und dazu 3 kleine Kinder hatten. Die Alte inspizierte nun morgens um ½ 7 Uhr, sie ging ins Esszimmer, zog den Büfett-Schlüssel ab und nahm ihn mit zur Reventlow-Allee. Mir blieb also nachher nichts übrig als hinzugehen und ihn mir zu holen. Mehr darunter gelitten hat wohl meine Schwester Mathilde, die in den ersten Jahren ihrer Ehe mit in demselben Hause wohnte, noch dazu ohne abgeschlossene Etage. Da war sie denn, wenn meine Schwester aus war, regelmäßig oben gewesen, "weil sie hatte Frieden stiften wollen unter den Kindern oder Mädchen". Sehr gefürchtet waren ihre Wochenvisiten. Sie brachte freilich immer etwas Hübsches mit und hatte nette kleine Aufmerksamkeiten für die junge Mutter, konnte es aber doch nicht lassen, irgend etwas Aufregendes oder Beunruhigendes zu sagen, dass sie das Kindchen winzig klein fand im Vergleich zu ihren. Hermann war besonders groß gewesen; sie hatte an dem Tage gerade eine Gans gekauft und Hermann hatte gerade soviel gewogen. Nun war die Gans aber im Laufe der Jahre immer schwerer geworden und Hermann mit. Ich glaube, sie wog zuletzt 13 Pfund.
Als mein ersten Töchterchen geboren wurde, wollte ich sie Emma Elisabeth nennen mit dem Rufnamen Elisabeth, nach meiner verstorbenen Mutter. Da lag sie nun meinem Manne so lange in den Ohren, dass wir das Kind doch Emma rufen sollten, denn meine Mutter sei doch nun mal tot und sie lebe doch. Dass gerade das Andenken an meine Mutter ein Grund für mich war, die Kleine so zu nennen, verstand sie eben nicht. Mein Mann erzählte mir schließlich davon und redete mir auch zu, weil er eben den ersten Besuch und irgend welche Aufregung für mich, die ich damals ziemlich elend war, fürchtete und ich gab dann nach, habe es freilich dann später bereut, auch meines lieben Vaters wegen, der sich sehr darüber gefreut hätte. Hierbei hatte sie dann aber doch so etwas wie ein schlechtes Gewissen, denn sie nannte das Kind später stets mit beiden Namen Emma-Liese und schenkte ihm auch dafür, dass sie ihnen Namen trug, jeden Sonntag 50 Pfennig in die Sparbüchse. Wenn sie Gevatter stand, und das tat sie bei der großen engeren und weiteren Familie sehr oft, so war es selbstverständlich, dass sie das Kind über die Taufe hielt. Sie behauptete nun, Kinder müssten dabei weinen, und wenn sie nicht weinten, dann kniff sie sie.
Ich weiß noch, dass sie bei einem Taufessen mal gegen den Pastor Mau diese Behauptung vertrat, der natürlich gar nicht erbaut von schreienden Kindern war und ihr das ausreden wollte, aber das gelang ihm nicht und er kannte sie gut genug, um schließlich die Sache humoristisch aufzufassen.
Im Jahre 1878 hatte sie den Typhus, wollte aber durchaus keine Pflegerin haben. Ihre Enkelin Emmi Heesch schlief im Nebenzimmer, welches aber durch ein Waschkabinett getrennt war, in dem das Fenster offen stand. Um nun Emmi, die einen festen Schlaf hatte und nicht gleich hörte, stets erreichen zu können, musste sie sich einen Bindfaden um das Handgelenk binden, an dem Mutter dann zog. Natürlich hatte Emmy dann bei dieser unbequemen Lage und dem offenen Fenster sich eine starke Erkältung zugezogen und fieberte eines Abends stark, sodass wir auch hier eine schwere Erkrankung befürchteten. Da musste nun das Mädchen einspringen, von der sie aber alle möglichen verbotenen Sachen verlangte. Vater war schließlich vor lauter Aufregung ganz krank mit, aber sie setzte ihren Willen durch und konnte sich nachher dessen rühmen, den Typhus ohne Pflegerin durchgemacht zu haben. Man müsste sich nur nicht so anstellen. Mutter hat viel Sinn für Humor und komische Situationen und verursachte solche gern. Mein Mann, der immer große Vorliebe für Hunde hatte, hatte vor unserer Verheiratung einen großen Neufundländer "Marco". Auf der kleinen Etagenwohnung konnten wir diesen Hund nicht haben, so blieb er bei den Eltern. Eine üble Angewohnheit der Hunde besaß er in erhöhtem Maße und bedachte besonders die Körbe der Marktfrauen. Seit Großmutter das bemerkt hatte, ging sie mit Vorliebe gerade an Markttagen mit dem Hund spazieren. Sie war mit ihrer majestätischen Erscheinung und dem großen Hund schon von weitem zu erkennen, dann erschallte der Ruf: "Da kümmt de Olsch mit ihrem Hund!" und alle Marktfreuen stellten sich in Kampfbereitschaft und das machte ihr ein diebisches Vergnügen. Unter ihrem langen ärmellosen Mantel, eine Art Rotunde, hatte sie freilich eine Elle zur Züchtigung für den Hund; sie fuchtelte wohl auch zum Schein damit herum, schlagen tat sie ihn aber nie.
Später, als sie in Neumühlen wohnte, hatte sie einen Enterich, der, sowie die Gartenpforte ging, angeschossen kam und es namentlich auf die Hosen der Herren abgesehen hatte. Ich sehe noch Onkel Jacob, Mutters Bruder, wie er krampfhaft bemüht war, das Tier, das sich an seiner Hose festgebissen hatte, wieder abzuschütteln. Die Alte aber dachte nicht daran sich zu entschuldigen, sondern amüsierte sich königlich darüber. Wenn Jahrmarkt war, so kaufte sie eine Menge kleiner Bälle oder Picker und warf sie unversehens unter die Schuljugend. Je größer die Balgerei dann war, umso mehr freute sie sich. Einmal im Winter brachte sie auch jedem ihrer verheirateten Kinder eine fette Gans, die trug sie selbst unter ihrer Rotunde hin, es waren doch ziemlich weite Wege zur Reventlowallee, zum Königsweg und zum Klaus-Groth-Platz, und eine Straßenbahn gab es damals in Kiel noch nicht. Machte man ihr einen gelinden Vorwurf, dass sie doch ihr Mädchen schicken solle, so meinte sie, "ach, die Mädchen mögen ja mit einer Gans so nicht gehen." Aber in der Hauptsache freute sie sich über ihre Körperkraft und das Außergewöhnliche. Als sie über 70 Jahre alt war, ruderte sie noch allein von Neumühlen über den Hafen und besuchte uns in Düsternbrook 16.
Ein sehr nettes Verhältnis bestand zwischen ihr und ihrer Schwester, der von uns allen sehr geliebten Tante Minna Schwerdtfeger. Sie hatte es nicht leicht gehabt im Leben und Mutter ihr wohl oft geholfen. Tante Minna sorgte aber auch reizend für ihre Schwester und war namentlich in deren letzten Lebensjahren täglich bei ihr, aber parieren musste sie bis zuletzt, ebenso wie wir Kinder; denn sie war ja 12 Jahre jünger und konnte diesen Unterschied nie ausgleichen.
Sehr gerecht war sie nicht, sie hatte immer ihre Lieblinge unter ihren Enkeln und andere, die sie nicht mochte. Das lag gar nicht immer an den Kindern sondern auch manchmal an der Mutter, über die sie sich irgendwie geärgert hatte. Kurt war ihr erklärter Liebling, allerdings auch sehr oft bei ihr. Sie hatte schon im Voraus eine Uhr gekauft, die er haben sollte, wenn er nach Untertertia käme. Nun gingen Kurt und Adolph in eine Klasse und wir stellten ihr vor, dass dann doch Adolph auch eine haben müsse. Das wollte ihr erst gar nicht recht einleuchten, aber schließlich gab sie nach und besorgte auch eine für Adolph. Beide blieben dann aber sitzen und bekamen nun die Uhr nicht. Nachmittags kam Pastor Mau mit seinem Jungen und flugs bekam er die Adolph zugedachte Uhr. Kurt aber erhielt die seinige bei der nächsten Gelegenheit.
Ebenso leicht, wie sie mit einem Tadel bei der Hand war, hielt sie auch ihr Lob nicht zurück. Als Kurt geboren war, sah sie in meiner Wohnung einen Korb mit ungeplätteter Wäsche stehen. Gleich ließ sie sich Plättfeuer machen und plättete selbst. War es auch gewiss aus gutem Herzen, so war es ihr doch auch eine angenehme Befriedigung ihrer Neugierde zu sehen, ob ich meinen Kram in Ordnung hielt. Ich bestand nicht allein die Prüfung sondern sie fand auch ein Taschentuch meines Mannes mit 23 Stopflöchern. Dafür großes Lob, was mich eigentlich beschämte, denn ich hatte im ersten Jahr meiner Ehe mit all den neuen Sachen und einer guten Köchin soviel Zeit, dass ich mir solche Sachen sehr wohl erlauben konnte, die später bei der großen Kinderschar von selbst unterblieben, ohne dass ich mir deshalb sehr unordentlich vorkam.
Sie schenkte mir eines Tages einen neusilbernen Rahmtopf, natürlich freute ich mich darüber, da sagte sie: "Weil Du Dich schon über einen Neusilbernen so freust, schenke ich Dir meinen silbernen." Am selben Tage ließ sie auch meinen vollen Namen Alwine Howaldt 1890 eingravieren. Dann aber bekam ich ihn nicht etwa sondern sie gebrauchte ihn mit meinem Namen ruhig in ihrem Haushalt weiter. (Dieser Topf ist in meinem Besitz. H.H.)
Mutter füllte bei Tisch mit Vorliebe auf, wer neben ihr saß, hatte es besonders gut und bekam unversehens einen Extra-Bissen. Es gehörte aber recht oft ein sehr guter Appetit dazu, um dem gerecht zu werden. Das erste Mittagessen, welches ich im Hause meiner künftigen Schwiegermutter einnahm, war "große Bohnen, Erbsen (beide sehr ausgewachsen) und Speck". Ich hatte noch nie große Bohnen gegessen, fand das Gericht ganz furchtbar und saß nun mit meinem damals nicht sehr großen Appetit vor diesem gehäuften Teller. Meine Erziehung gebot mir nun, alles aufzuessen, denn sowohl bei uns im Hause als auch im Howaldtschen Hause durfte man nichts stehen lasse, aber die großen Bohnen sind mir buchstäblich im Halse gequollen.
Zum Howaldt'schen Hause gehörte unbedingt unser altes Faktotum Krollen. In ihrer Jugend war sie Kammerjungfer auf einem gräflichen Gute gewesen. Die guten Manieren, das Respektvolle und Taktvolle, ließ sie nie außer acht. Immer ging sie rückwärts aus der Tür mit einer Verbeugung und dem Spruch: "Na, dann sage ich Gute Nacht, Ma'm Howaldt".
Sie nähte und flickte bei meiner Schwiegermutter und deren Schwestern, außerdem nur noch bei Kirchenrat Lüdemanns, von denen sie immer noch später mit großer Verehrung sprach. Später wurde sie dann nur bei der Familie Howaldt beschäftigt. In den kinderreichen Familien war immer Arbeit für sie. Sie kannte meine Schwiegermutter ganz genau; saß die Mütze auf dem rechten Ohr, so ging sie ganz still an ihre Arbeit und muckste sich nicht. Ging meine Schwiegermutter aus, so hieß es: "Krollen, passen Sie auf die Kinder und die Lampe." Kam sie wieder zu Hause und inspizierte die Arbeit, so sagte Krollen entschuldigend: "Ma'm Howaldt, ich konnte nichts tun, ich konnte immer nur die Lampe festhalten."
Eines Tages hatten mein Mann und sein Bruder Hermann ihr in Unterhosen den Prinzen von Arkadien vorgetanzt. Dabei war nun doch die Oellampe herunter gefallen. Die beiden wuschen nun mit der Nagelbürste und kaltem Wasser den Teppich ab und hatten die Genugtuung, dass Mutter nichts merkte und Krollen keine Schelte bekam. So wie früher dem Vater flickte sie später meinen Jungens die Hosen, es war immer Leben, wenn Krollen da war, trotzdem sie nichts hören konnte und die Jungens sie neckten, machte sie Unsinn mit. Es kam wohl daher, weil sie selbst ein so harmloses Gemüt hatte, sich königlich freute und humorvolle Bemerkungen dazu machte. Fritz war ihr Liebling, er sprang aber auch vom Schrank direkt ins Bett, dass ich nachher nicht begreifen konnte, wovon dasselbe entzwei war. Das geschah alles für Krollen. "Er hat so gnuschige Gelenke", sagte sie dann. Um sie zu reizen, für ihren Fritz einzustehen, wurde dieser auch einstmals von Kurt in den Hafen gestoßen. Mein Schwiegersohn sprang hinterher, um zu retten. Als sie sich dann genügend aufgeregt hatte, merkte sie erst, dass alles Komödie war. Sie wurde sehr alt und verlebte ihre alten Tage im Kaiser-Wilhelm-Stift. Wenn es das Wetter erlaubte, kam sie aber immer an ihrem Montag noch zu uns, wenn es auch schließlich nur noch zum Essen war.
Bernhard Howaldt (Nr.2), geboren 1850 in der Klinke, verlebte seine Jugendzeit am Kleinen Kiel. Er besuchte die Kieler Gelehrtenschule und trat, als er seinen Einjährigenschein hatte, als Lehrling in das väterliche Geschäft ein. Eine mehrjährige praktische Tätigkeit wurde damals für den Beruf eines Ingenieurs als durchaus notwendig erachtet. Zur weiteren Ausbildung kam er 1870 noch nach Schottland auf die damals größte Schiffswerft von John Elder am Klyde. Es bestanden gute Beziehungen durch den Bruder meiner Schwiegermutter, Onkel Jacob Diederichsen; er war Inspektor der Hamburg-Amerika-Linie, hatte als solcher und erster Ingenieur der Firma alle Schiffe unter sich und auch die Bauaufsicht der Neubauten. Alle großen Überseedampfer wurden damals noch auf englischen Werften erbaut. Onkel Jacob war sehr angesehen, sodass es ihm ein Leichtes war, seinen Neffen gut einzuführen. Bei Kriegsausbruch stellte sich mein Mann bei der Armee, wurde aber als zu schwächlich nicht angenommen und trat nun bei der Marine ein. Da die Marine nicht aktiv tätig war, so bestand der Dienst hauptsächlich in der Küstenbewachung. Er war in der Umgebung von Friedrichsort einquartiert. Längere Monate in der "Dänenkate", die in den "Gründen" zwischen Möltenort und Laboe lag. In der Erinnerung daran verlebten wir auch, als Kurt klein war, mal einen Sommer dort. Gelitten hat mein Mann in dem strengen Winter 1870/71 sehr unter der Kälte.
Nach Beendigung des Krieges ging mein Mann zu Besuch der Hochschule nach Karlsruhe i.B., machte von dort im Jahre 1874 eine Mittelmeerreise, er fuhr als vierter Ingenieur, bekam kein Gehalt, war aber dafür sofort frei, wenn das Schiff in einem Hafen anlegte, sah auf diese Weise für wenig Geld viel Schönes. 1875 trat er als Ingenieur in die Firma Schweffel und Howaldt ein. Es waren gerade sehr schwere Jahre für die Firma. Die Fabrikation von landwirtschaftlichen Maschinen war etwas in den Hintergrund getreten, man hatte sich mehr auf den Bau von Schiffsmaschinen geworfen und hier wurde wieder in der Hauptsache mit der Norddeutschen Werft in Gaarden gearbeitet, die selbst eine Maschinenfabrik nicht besaß. Die Norddeutsche Werft geriet nun 1876 in Konkurs, wurde dann verkauft und die neuen Besitzer hatten eine eigene Maschinenfabrik in Berlin. So wurde die Firma für Lieferungen ausgeschaltet und die beiden Herren verloren auch noch persönlich große Summen bei diesem Konkurs. Diesen und ähnlichen Aufregungen fühlte sich Vater Howaldt nicht mehr gewachsen und beschloss seien Rücktritt, dem auch Herr Schweffel sich anschloss. So übernahmen die drei Brüder das Geschäft unter dem Namen "Gebrüder Howaldt". Bernhard Howaldt war verantwortlicher Leiter der Firma, Georg Howaldt hatte 1875 in Neumühlen-Dietrichsdorf eine eigene Schiffswerft gegründet und war besonders hier tätig, auch in der Beschaffung von Aufträgen, während Hermann Howaldt die Verwertung verschiedener Patente und Erfindungen (Hydrometer) betrieb. Da ein Zusammenarbeiten von Werft und Maschinenfabrik jetzt ganz selbstverständlich war, so war das weite Auseinanderliegen der Betriebsstätten sehr störend. Maschinenfabrik und Eisengießerei wurden deshalb Anfang der 80.er Jahre auch nach Neumühlen-Dietrichsdorf verlegt. Die Kieler Grundstücke wurden gut verkauft, das am Kleinen Kiel an das Oberlandesgericht, das am Eisenbahndamm an die Kaiserliche Post. Auch Vater Howaldt verkaufte sein Haus (heute Kanalamt) und kaufte sich in Neumühlen an, um dem Wirken seiner Söhne näher zu sein, da ihm seine Gesundheit große Wege nicht mehr erlaubte.
Es kamen nun sehr gute Jahre, die besten, die wir überhaupt gehabt haben. Außer Schiffsmaschinen wurden auch feststehende Maschinen (Gebr. Stollwerk, Köln) gebaut.
Wir hatten 1876 geheiratet und ein Einkommen von Mk. 3600,-, das war auch für die damaligen Verhältnisse nicht viel, so dass wir uns sehr nach der Decke strecken mussten. Wir wohnten zuerst Königsweg 18, wo Kurt und Emma geboren wurden; als dann eine größere Wohnung durchaus notwendig wurde, zogen wir Ostern 1880 nach der Fleethörn 41/43, wo Bernhard geboren wurde. Die Wohnung war freilich geräumig, aber sehr unfreundlich und die Gegend nicht sehr gesund. Als 1881 eine Scharlach- und Diphtheritis-Epedemie ausbrach und in der Nachbarschaft mehrere Kinder starben, reiste ich kurz entschlossen mit den 3 kleinen Kindern nach Braunschweig. Als ich nach längeren Wochen zurückkam, hatte mein Mann inzwischen Düsternbrook 16 gekauft und mit meiner Schwester Helene zusammen den Umzug besorgt. Ich hatte keine Ahnung davon, wurde mit dem fertig eingerichteten Hause überrascht; alle Familienmitglieder waren zum Empfange dort, ein nettes Essen vorbereitet, es war wirklich ganz reizend. Sonst brachten die Jahre viel Trübes, denn meine ältere Schwester Mathilde starb, und in den folgenden Jahren auch mein Vater und Schwiegervater.
Ende der 80er Jahre hatte mein Mann viel geschäftlichen Ärger,
und da auch seine Gesundheit damals nicht die beste war, trat er
aus dem Geschäft aus. Werft und Maschinenfabrik wurden dann
vereinigt und die Aktiengesellschaft: "Howaldts Werke"
gegründet. In den folgenden Jahren hatte mein Mann verschiedene
kleine Unternehmungen, die ihn aber nicht voll befriedigten. 1896
machte er eine Reise um die Welt, die Hinreise bis China mit Geheimrat
Franzius, der damals den besten Hafen für eine Flotten-Station
(Tsingtau) aussuchen sollte. Den Rückweg nahm er über
Amerika und brachte von dort eine wertvolle Geschäftsverbindung
mit (Blake Pumpen-Compagnie). Auch die Ausbeutung der Kieslager
in Lehmberg zum Bau des Torpedobootshafens beschäftigte ihn.
Er war im Aufsichtsrat der Howaldtswerke, leitete auch den Ausbau
der Fiumanerwerft für Howaldts-Werke.
In diesen Jahren trat zuerst das Projekt auf, die Wasserkräfte der Schwentine zu verwerten und ein großes elektrisches Werk zu bauen. Die Wasserkräfte des Gutes Rastorf, der Rastorfer Mühle, des Gutes Oppendorf, auch des Plöner Sees sollten zusammen ausgenutzt werden. Vater wurde als Sachverständiger gebeten, das Geschäftliche in die Hand zu nehmen und veranlasste die Firma Lahmeyer in Frankfurt/Main, das Projekt weiter auszuarbeiten. Als Abnehmer kam nur die Stadt Kiel in Frage, die damals mit dem Plan umging, ein Elektrizitätswerk zu bauen. Die Verhandlungen zogen sich über Jahre hinaus, bis sich Kiel entschloss, eine eigene Zentrale zu bauen. Damit war das Schwentine-Projekt vorläufig erledigt. Der Besitzer von Rastorfer Mühle hatte in diesen Jahren größere Summen von der Firma Lahmeyer geliehen, die nun eingeklagt wurden. Es gelang noch mal, das Verhängnis abzuwenden dadurch, dass Vater die Lahmeyer'sche Hypotheken z.T. selbst übernahm.
Er arbeitete nun für Rastorfer Mühle ein neues Projekt aus, eine Holzschliff-Fabrik. Das ganze Unternehmen war bereits bis aufs Kleinste gesichert, aber Herr Sch. konnte sich nicht dazu entschließen, da der Verdienst nicht annähernd so groß war, wie bei dem Elektrizitätswerk geworden wäre, und ihm auch von anderer Seite noch Anerbietungen gemacht waren, die ihm günstiger erschienen. Das zerschlug sich aber, Herr Sch. meldete Konkurs an und starb fast gleichzeitig.
Für Vater war es, abgesehen von dem Verlust des Freundes ein sehr empfindlicher Schlag, denn er hatte große Summe auch ohne Sicherheit hergegeben, dazu war er damals bereits mehrere Monate in Fiume und wusste gar nicht, dass es so schlimm stand.
Der Konkurs dauerte nun mehrere Jahre und schließlich musste Vater doch Rastorfer Mühle übernehmen und an eine Verwendung der Wasserkraft denken. Die Papierfabrik hatte mehrere Jahre still gestanden. Kundschaft war nicht mehr vorhanden. Die Maschinen waren veraltet. Eine Wiederaufnahme des Betriebes evtl. verbunden mit der früher projektierten Holzschlifffabrik schien wenig aussichtsreich. Außerdem fehlte für das Ganze der Fachmann. So kam Vater wieder zurück auf ein Elektrizitätswerk, welches Projekt er früher wohl gründlich durchgearbeitet hatte.
Die Stadt Kiel hatte nun mit ihrem Elektrizitätswerk mehrere Jahre hinter sich, wobei sich herausgestellt hatte, dass sie Kilowattstunde viel teurer kam als anfangs veranschlagt war. Vater machte der Stadt ein Angebot, ihr den Strom bedeutend billiger zu liefern als sie selbst ihn herstellen konnte. Auf dieser Basis kam der erste Vertrag mit der Stadt Kiel zu Stande und daraufhin wurde 1904 das erste Werk gebaut. Vater sah aber weiter und kaufte in den nächsten Jahren von den Bauern in Raisdorf und dem Kloster Preetz alle Ländereien am linken Ufer der Schwentine oberhalb Rastorfer Mühle, damit war es ausgeschlossen, dass die zum Gute Rastorf gehörigen Wasserkräfte ausgebaut werden konnten ohne ihn. Er beabsichtigte auch sehr ernstlich den Bau eines zweiten Werkes und hatte auch den Vertrag mit dem Grafen Rantzau-Rastorf wegen Abtretung der Wassergerechtsame und der zu überflutenden Ländereien schon abgeschlossen, erlebte aber die Verwirklichung seiner Pläne nicht.
1904 waren wir nach Rastorfer Mühle gezogen und hatten 1905 das Wohnhaus ganz umgebaut und eine Neuanlage der Gärten vorgenommen. So war es bei all den Naturschönheiten ein wirklich idealer Landsitz geworden.
Wir alle waren stolz auf das, was in Rastorfer Mühle geschaffen und auf das, was aus der Rastorfer Mühle geworden war und ein Aufgeben alles dessen, was durch die näheren Umstände bedingt war, ist uns nicht leicht geworden. (Zumal es heute im Dezember 1932 noch nicht gelungen ist, die Stadt Kiel zur restlosen Erfüllung ihrer beim Verkauf der Werke 1915 übernommenen Verpflichtungen zu zwingen und der Verkauf so für uns verlustreich gewesen ist. H.H.).
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